Spracharbeit im Englischunterricht der Oberstufe fristet häufig ein Nischendasein und wird leider nur am Rande thematisiert. Woran liegt das? Zum einen stehen die inhaltlich-thematische Ausrichtung des Unterrichts und das intensive Training von Kompetenzen im Vordergrund, was wenig Raum für eine tiefere sprachliche Auseinandersetzung mit Texten lässt. Zum anderen möchte man vermeiden, die ästhetische Wirkung eines literarischen Textes durch detaillierte Sprachbetrachtung zu „zerlegen“ und damit zu schmälern. Dabei sind gerade die sprachlich-formalen Besonderheiten entscheidend für das Verstehen und Erleben literarischer Werke. Zudem bieten insbesondere literarische Texte reichhaltigen, authentischen Sprachinput, der genutzt werden kann und sollte, um die sprachliche Kompetenz kontinuierlich zu trainieren und weiterzuentwickeln. Im Folgenden werden drei praxisorientierte Ideen für Spracharbeit mit literarischen Texten vorgestellt, die regelmäßig und mühelos im Unterricht zur Förderung der Sprachbewusstheit, zur Reflexion über sprachliche Muster und zur Erweiterung der Sprachlernkompetenz integriert werden können.
1. Das Frayer Modell: Effektive Wortschatzarbeit zur Erschließung neuer Begriffe
Das Frayer Modell, eine grafische Strukturierungshilfe, unterstützt Schüler/innen dabei, sich intensiv mit lexikalischen Einheiten und Konzepten auseinanderzusetzen. Entwickelt von Dorothy Frayer 1969 am Wisconsin Center for Education Research, fördert das Modell das Erlernen und Verstehen komplexer, abstrakter Begriffe und Konzepte durch ein strukturiertes Vorgehen und eine übersichtliche Visualisierung. Schlüsselwörter eines Themas oder Textes werden nach vier verschiedenen Aspekten analysiert und die Ergebnisse in einem vorgegebenen Muster (s. unten) grafisch dargestellt. Diese intensive und umfassend Betrachtung unterstützt maßgeblich das konzeptionelle Verständnis und das langfristige Behalten von lexikalischen Einheiten.
Das Modell besteht aus vier Bereichen (word maps), die um den zentralen Begriff in der Mitte angeordnet sind:
Definition: Description of the term
Characteristics: Features that help students to recognize, identify, or distinguish the term
Examples: Synonyms, concrete applications, or relevant illustrations of the characteristics
Non-examples: Antonyms, inappropriate applications, or relevant illustrations that do not fit the characteristics
Im Themenbereich Migration ist es wichtig, dass die Schüler/innen ein einheitliches Verständnis für Begriffe wie immigrant, migrant, asylum seeker und refugee entwickeln. Daher wird in diesem Beispiel für jeden dieser Begriffe ein eigenes Frayer Modell erstellt, um die Bedeutungen zu definieren und voneinander abzugrenzen.
Es empfiehlt sich, beim ersten Einsatz dieser Methode die Felder für ein Wort gemeinsam auszufüllen. Danach arbeiten die Schüler/innen selbstständig und recherchieren off- oder online, um alle Felder zu füllen. Die Methode eignet sich sowohl für Partner- als auch Gruppenarbeit und lässt sich auch digital mit Tools wie Oncoo oder Flinga umsetzen. Das Frayer Modell kann sowohl vor dem Lesen eines Textes zur Sicherung relevanten Wortschatzes als auch während des Lesens oder danach eingesetzt werden, wenn sich Begriffe als schwierig erweisen.
Das Frayer Modell ist eine einfache und effektive Methode zur intensiven und analytischen Wortschatzarbeit, um komplexe oder abstrakte Begriffe besser zu verstehen und anzuwenden.

2. Satzannotationen: Sprache im Detail analysieren
In der Regel sind Annotationen bei authentischen (Unterrichts-)Texten bereits vorhanden, um das Leseverständnis zu unterstützen. Bei dieser Methode werden jedoch die Schüler/innen selbst aktiv und annotieren Textabschnitte. Sie übernehmen somit Ihre Rolle (oder die von Lektüreautoren) und ergänzen eigenständig Erklärungen zu Sätzen oder Textpassagen. Dabei bringen sie ihr vorhandenes sprachliches Wissen ein oder erarbeiten sich neue Kenntnisse, um Bedeutungen, Wortarten, Stilebenen oder grammatische Strukturen zu erläutern.
Wenn Ihre Schüler/innen mit dieser Aufgabe noch nicht vertraut sind, sollte eine Einführungsphase mit Erläuterungen vorgeschaltet werden. Annotationen vorhandener Texte oder Wörterbucheinträge können als Veranschaulichung dienen. Dies bietet gleichzeitig eine gute Gelegenheit, den Umgang mit Wörterbüchern aufzufrischen und zu üben. Welche Sätze oder Textpassagen annotiert werden sollen, kann danach entschieden werden, ob mit den Textstellen weitergearbeitet werden soll oder ob sie relevante Sprach- oder grammatische Mittel enthalten, die geübt werden sollen. Für die Schüler/innen ist es motivierend, wenn sie die Sätze selbst auswählen können, wodurch eine Vielfalt an annotierten Textstellen entsteht, die sowohl neues Wissen als auch Wiederholungen umfassen. Es ist jedoch ebenso lohnend, denselben Satz von mehreren Schüler/innen annotieren zu lassen und die Ergebnisse zu vergleichen.
Hilfsmittel wie Wörterbücher oder digitale Quellen sind ausdrücklich erlaubt. Unterschiedliche Markierungstechniken (z.B. Farben, Kursivschrift, Pfeile) machen die Annotationen anschaulich. Auch hier eignen sich digitale Tools, um die Annotationen zusammenzuführen und als gemeinsames Dokument zu speichern.
Durch das Erstellen von Annotationen werden Schüler/innen motiviert, Sprache bewusst zu analysieren und zu reflektieren. Sie trainieren ihre Fähigkeit, sprachliche Strukturen zu erkennen, anzuwenden und lernen dabei, sprachliche Zusammenhänge vertieft zu durchdringen.

3. Zitate als Sprachfenster: Kontextuelle Sprachbetrachtung
Zitate werden in der Regel für die inhaltliche Analyse eines Textes eingesetzt, indem Kernaussagen interpretiert werden. Diese Methode geht jedoch darüber hinaus und legt zusätzlich den Fokus auf die sprachlichen Besonderheiten eines Zitats. Literarische Zitate enthalten häufig grammatische Strukturen, lexikalische Besonderheiten oder stilistische Mittel, die erarbeitet oder wiederholt werden können. Die Attraktivität besteht darin, dass die Sprachbetrachtung in einem authentischen Kontext stattfindet und sich damit natürlich in den Sprachunterricht einfügt.
Das Sprachphänomen sollte stets erst nach der inhaltlichen Interpretation des Zitats untersucht werden. Lassen Sie die Schüler/innen dabei eigenständig arbeiten und Bedeutungen, Formen oder Funktionen von sprachlichen Mitteln recherchieren. Gezielte Übungsmöglichkeiten unterstützen den Lernprozess. Mit einer konkreten produktiven Anwendung, in der die untersuchten Sprachphänomen verwendet werden, lässt sich diese Aufgabe abschließen.
Als Beispiel dient hier ein Zitat aus der Kurzgeschichte „Green“, das eine der zentralen Aussagen der Story und gleichzeitig das Idiom to stand (your) ground enthält. Nach der Interpretation der Aussage analysieren die Schüler/innen das Idiom näher, wobei sie sich auch mit dem Begriff „Idiom“ selbst befassen. Sie bilden eigene Sätze mit ground, lernen weitere idiomatische Ausdrücke aus der Kurzgeschichte kennen und verwenden diese in einem Dialog.

Zitate aus literarischen Texten bieten eine vielfältige und wertvolle Grundlage zur vertieften Sprachbetrachtung. Jegliche grammatische Strukturen und lexikalische Besonderheiten lassen sich in diesem Kontext finden und für eine sprachliche Analyse nutzen. Sie können nach den zu übenden Strukturen oder lexikalischen Besonderheiten gezielt suchen oder Sie lassen sich vom Text inspirieren – es lohnt sich in jedem Fall für Ihre Schüler/innen.
Fazit
Die drei vorgestellten Methoden zeigen, wie sich literarische Texte gezielt für eine Spracharbeit im Englischunterricht nutzen lassen. Die vorgestellten Ansätze sind auf jeden literarischen Text anwendbar, leicht umsetzbar, ob im Unterricht oder als Hausaufgabe. Sie bieten kreative und abwechslungsreiche Zugänge zur Spracharbeit und steigern die Freude und das Interesse an einer bewussten Auseinandersetzung mit Sprache – nicht nur bei sprachaffinen Schülerinnen und Schülern.
Die hier vorgestellen Beispiele sind in „Language Matters“ zum Roman „The Hate U Give“ und zur Anthologie „Tales of Migration“ enthalten.
Eine Antwort
Vielen Dank für die inspirierenden Tipps!