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Titelbild zum Blog Thema Migration im Englischunterricht

Literatur im Fokus: Praktische Tipps für den Englischunterricht zum Thema Migration

Inhalt

Migration ist eines der zentralen Themen der heutigen Zeit. Sie betrifft Menschen weltweit und beeinflusst Gesellschaften auf vielfältige Weise. Als Lehrkräfte stehen Sie vor der Herausforderung, dieses komplexe Thema sowohl informativ als auch einfühlsam zu vermitteln. Dieser Blogbeitrag beleuchtet, warum literarische Texte dabei eine besondere Rolle spielen und wie sie genutzt werden können, um Schüler/innen einen tieferen Zugang zum Thema Migration zu ermöglichen.

Migration in Sachtexten und Literatur – zwei unterschiedliche Zugänge

Informationsvermittlung vs. persönliche Erfahrungen

Sachtexte und literarische Werke eröffnen zwei verschiedene Zugänge zum Thema Migration. Sachtexte dienen primär der Informationsvermittlung und sind daher ideal geeignet, um Fakten, Hintergründe und aktuelle Entwicklungen zu präsentieren. Die Arbeit mit Sachtexten verlangt von Schüler/innen, analytisch zu denken, Hauptaussagen zu identifizieren und diese mit Einzelfakten zu untermauern. So werden für Migrationsthemen häufig Zeitungsartikel oder Berichte eingesetzt, die geopolitisches Wissen, Statistiken oder aktuelle Ereignisse präsentieren. Diese Herangehensweise ist zweifellos wichtig, stellt jedoch eine gewisse Distanz zum Thema her. Viele Schüler/innen empfinden diese nüchterne Darstellung als wenig motivierend, da sie dem Thema Migration in dieser Form bereits in anderen Unterrichtsfächern sowie außerhalb des Unterrichts in den Medien begegnen.

Literarische Texte hingegen bieten einen ganz anderen Zugang: Sie machen Migration unmittelbar erfahrbar, indem sie individuelle Lebensgeschichten in den Mittelpunkt stellen. Durch die Darstellung von persönlichen Herausforderungen, Erlebnissen und Gefühlen entsteht eine direkte emotionale Verbindung zur Thematik. Die Schüler/innen können sich intensiv mit literarischen Figuren und deren Lebenswelt auseinandersetzen. Dies regt nicht nur zum Nachdenken an, sondern trägt auch dazu bei, neue Sichtweisen kennenzulernen, besser zu verstehen und eigene Haltungen zu hinterfragen.

Unterrichtsbeispiel: Migration und moderne Sklaverei

In der Kurzgeschichte „The Embassy of Cambodia“ von Zadie Smith begegnen wir Fatou, einer jungen Frau von der Elfenbeinküste. Sie arbeitet als Hausangestellte in London und kümmert sich um die Kinder einer wohlhabenden Familie. Eines Tages liest sie einen Zeitungsartikel über moderne Sklaverei – ein Begriff, der sie ins Grübeln bringt. Könnte sie selbst betroffen sein? Dieser Gedanke ist ihr zuvor nie gekommen, doch sie verwirft ihn wieder.

Fatous Geschichte macht den abstrakten Begriff „moderne Sklaverei“ anhand eines konkreten Beispiels greifbar. Man kann annehmen, dass viele Schüler/innen den Begriff Sklaverei nicht mit unserer heutigen Zeit in Verbindung bringen. Doch die Schüler/innen haben Fatou kennengelernt, wissen, wie sie lebt und können sich nun selbst ein Urteil bilden, ob Fatou wie eine moderne Sklavin behandelt wird. Dank der anschaulichen Darstellung von Fatous Lebenssituation entsteht eine emotionale Tiefe und Nähe zu diesem Thema, die eine bloße Faktenvermittlung mithilfe eines Sachtextes nicht erreichen kann. 

Arbeitsblatt rechts: Im Unterricht wird das Thema „moderne Sklaverei“ zunächst durch ein informierendes Video eingeführt. Anschließend analysieren die Schüler/innen Fatous Situation anhand von erarbeiteten Kriterien zu moderner Sklaverei. In einer abschließenden Diskussion setzen sie sich mit der Frage auseinander: Ist Fatou eine moderne Sklavin? Ihre Argumentation stützen sie auf konkrete Beispiele aus der Kurzgeschichte. Die literarische Interpretation regt zu einer kritischen Reflexion über gesellschaftliche Missstände sowie die Lebens- und Arbeitsverhältnissen von Migranten an.
Dieses Unterrichtsbeispiel zeigt deutlich den Mehrwert literarischer Texte: Während Daten und Definitionen wichtig sind, um ein Thema wie moderne Sklaverei zu verstehen, ermöglicht erst die persönliche Geschichte einer Figur wie Fatou eine tiefere Auseinandersetzung mit den emotionalen Dimensionen des Problems.

Tales of Migration | The Embassy of Cambodia | Unterrichtsmaterial

Migration aus der Innenperspektive erleben

Perspektivwechsel und Einfühlungsvermögen​

Ein Perspektivwechsel ist eine zentrale Fähigkeit, die im Unterricht gefördert werden sollte, insbesondere bei der Behandlung des Themas Migration. Er ermöglicht den Schüler/innen, sich in die Lebensrealitäten anderer Menschen hineinzuversetzen und deren Erfahrungen, Gefühle und Gedanken nachzuvollziehen. Dies ist besonders wichtig, da Migration oft mit komplexen persönlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen verbunden ist, die sich nicht allein durch Fakten erklären lassen. Ein Perspektivwechsel fördert Empathie, hilft Vorurteile abzubauen und stärkt das kritische Denken der Schüler/innen. Sie lernen, Situationen nicht nur aus ihrer eigenen Sicht zu betrachten, sondern auch andere Standpunkte zu verstehen und zu respektieren.

Im Unterricht kann ein Perspektivwechsel durch gezielte Methoden unterstützt werden. Die Analyse von literarischen Charakteren, Rollenspiele, Szenen aus der Sicht verschiedener Figuren nachspielen oder das Umschreiben von Texten aus einer anderen Sichtweise hilft den Schüler/innen, sich intensiver mit den Figuren auseinanderzusetzen und ein Verständnis für andere zu entwickeln.

Unterrichtsbeispiel: Salims Interview

In der Kurzgeschichte „The Soldier’s Tale“ von Neel Mukherjee bearbeitet der Erzähler oder die Erzählerin das Asylgesuch von Salim. Er/Sie prüft gründlich die Angaben im Antrag, hinterfragt Aussagen, beginnt zu zweifeln und entdeckt scheinbare Lücken im seinem Lebensweg. In der Kurzgeschichte findet kein Gespräch zwischen dem/der Bearbeiter/in und Salim statt, doch im Unterricht erhält Salim die Möglichkeit, sich zu äußern.
Die Schüler/innen erhalten die kreative Aufgabe, die Kurzgeschichte in einen Dialog umzuschreiben. Sie nehmen dabei Salims Rolle ein und beantworten Fragen zu seinem Lebenslauf. Durch diesen Perspektivwechsel befassen sich die Schüler/innen intensiv mit Salims Lebensweg, der für die meisten kaum vorstellbar sein dürfte. Mithilfe dieses persönlichen Blickwinkels lässt sich direkt nachvollziehen, wie es Salim auf seinem Weg nach England ergangen ist und warum er bleiben möchte. Zudem erhalten die Schüler/innen einen Eindruck davon, wie sich das oft misstraurische Nachfragen bei Asylanträgen auswirkt. Den Lernenden wird damit auch ihre eigene Perspektive auf Neuankömmlinge bewusst, die in der Regel durch Unkenntnis über einzelne Schicksale geprägt ist, und hinterfragen sie womöglich. Ein Perspektivwechsel bewirkt nicht nur eine neue Sicht auf Geschehnisse, ssondern macht auch die emotionalen Dimensionen greifbar und fördert Empathie.

Arbeitsblatt zur Kurzgeschichte „The Soldier's Tale"

Fazit

Literarische Texte bieten eine ideale Ergänzung zu einem Unterricht mit Sachtexten: Während Sachtexte das Thema Migration in Zahlen, Fakten und politischen Kontexten darstellen, vermitteln literarische Werke die individuellen Erlebnisse der Betroffenen. Gerade durch die Innenperspektive bietet Literatur einen emotionalen Zugang, der den Lernenden die Erfahrungen von Migrantinnen und Migranten näherbringt.

Um den Wert von literarischen Texten zu erkennen, kann man sich stets diese zwei Fragen stellen:
Wie würde sich diese Geschichte als Sachtext lesen? Was ginge dabei verloren?

Unterrichtsmaterialien

Webinar

TALES OF MIGRATION | Arriving · Adjusting · Belonging

Vorstellung der Lektüre und Unterrichtsmaterialien
Passend zum Thema „On the Move: Migration and Cross-Cultural Encounters“

Termin: Dienstag, 01.04.2025
Zeit: 17.00–18.00 Uhr

Anmeldung

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Bildnachweis: Weltkarte Pixabay_kalhh

 

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